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RBB-Klartext 2008

Verunglimpfung nach der Gründung der Volksinitiative "Gegen die Massenbebauung Brandenburgs mit Windrädern"

Text der Sendung

KLARTEXT vom 21.05.2008

Populistische Kampagne gegen Windkraft

 

Die Zukunft liegt in erneuerbaren Energiequellen. Wenn die umweltfreundliche Energiequelle Wind allerdings vor der eigenen Haustür genutzt wird, dann vergessen viele, dass Energie nicht zum Null-Tarif zu haben ist. Die brandenburgische Volksinitiative gegen Windkraft hat das Recht zwar auf ihrer Seite, aber sollen die Bürger wirklich über strategische Entscheidungen wie die zukünftige Energiepolitik mit populistischen Argumenten per Volksentscheid entscheiden dürfen?


Es geht jetzt - Zitat - „um eine der größten humanitären Katastrophen“. Nein, nicht die Zustände in Burma sind gemeint, es geht um Brandenburg. Dort sind nach Meinung einiger Leute: Menschen in großer Gefahr. Es drohen schwere innere Verletzungen, irreparable Schäden – besonders bei Schwangeren, Kindern und Alten. Schuld sollen Windräder sein. Sagen die Gegner dieser Anlagen, die solche Horrorszenarien entwickeln. Mit einer Volksinitiative wollen sie die Wind-Energie in Brandenburg zurückdrängen. Ein fragwürdiges Vorhaben bei der weltweiten Klima-Entwicklung.

Dicke Luft in Brandenburg. Doch nicht der Wasserdampf ist hier das Problem. Es geht darum, wie das unsichtbare CO2 reduziert werden soll. Um ganze 40 Prozent will Brandenburg die Kohlendioxidemissionen bis 2020 senken – vor allem mit mehr Windenergie.

Brandenburg hat gestern seine Energiestrategie beschlossen – zukünftig soll die dreifache Menge mit den Mühlen erzeugt werden. Dafür müssen neue her. Bislang gibt es im Land etwa 2000 Anlagen. Energiefirmen wie Enertrag planen schon die nächsten:

Jörg Müller, Enertrag
„Etwa eine Verdoppelung der jetzigen Stückzahlen würde zu einer Verfünf- bis Verzehnfachung der Energieproduktion führen."
KLARTEXT
„Das heißt 650 neue Windkraftanlagen.“
Jörg Müller, Enertrag
„Wir haben jetzt keinen Plan, wo 650 drin steht, aber für die nächsten Jahre wäre das eine sehr sinnvolle Zahl."

Zu nah an den Dörfern sollen sie nicht mehr stehen. Für Neuanlagen sind Abstände von 800 bis 1.200 Meter geplant. Dennoch zu bedrohlich, finden einige Bürger. Eine Volksinitiative hat sich gegen die Pläne formiert. Einer der bekanntesten Protagonisten: Professor Hans-Joachim Mengel. Die Forderung:

Hans-Joachim Mengel, Volksinitiative gegen Windkraftausbau
„Abstände auch zu Wohngebieten, da genügen 1.000 Meter natürlich auch nicht. Da müssen mindestens 1.500 Meter her."

1.500 Meter – Hätte die Volksinitiative damit Erfolg, wären die Konsequenzen beträchtlich, wie das Beispiel Uckermark zeigt. Hier sind ohnehin nur knapp zwei Prozent der Fläche für Windenergie geeignet:

Claudia Henze, Leiterin Regionalplanungsstelle Uckermark
„Wenn man mit einer Erhöhung der Abstände zu den Siedlungsgebieten arbeiten würde, hätte es eine drastische Reduzierung der noch für die Windenergienutzung zur Verfügung stehenden Fläche zur Folge."

Das heißt: weniger als 0,2 Prozent der Fläche blieben für die Windmüller übrig. Für die Firma Enertrag quasi das Ende des Windenergieausbaus:

Jörg Müller, Vorstandsvorsitzender Enertrag
„Die Einhaltung von 1.500 Meter Abstand generell zu sämtlichen Ortschaften würde natürlich den Ausbau der Windenergie zum Erliegen bringen. Das ist so."

Doch davon will die Volksinitiative nichts wissen. Das Klima liege ihnen sehr wohl am Herzen, aber nicht auf Kosten der Bürger. Nein, es gehe nicht nur um Lärm, auch nicht um lästigen Schattenwurf. Dieses mal gehe es um eine andere Gefahr: geräuschlos, unsichtbar – genannt: Infraschall.

Für die Gegner geht der Infraschall gefährlich stark von Windkraftanlagen aus. Als einer der wenigen in Deutschland hat sich Dr. Hartmut Ising für das Umweltbundesamt mit dem Phänomen befasst.

Hartmut Ising, Akustik-Experte
„Infraschall ist ganz entsprechend wie Hörschall eine Luftdruckschwankung aber im tieferen Frequenzbereich. In einem Frequenzbereich, wo man normalerweise keine Tonhöhen mehr wahrnimmt."

Anschaulich an der Tonleiter eines Klaviers. Der tiefste Ton beträgt 27einhalb Hertz. Darunter beginnt Infraschall. Hat er genug Dezibel, kann er spürbar sein. So etwa beim Öffnen des Autofensters bei schneller Fahrt.

Der Infraschall aber, der von Windkraftanlagen ausgeht, ist weit geringer als im Auto. Bei einem Abstand von 250 Metern liegt er etwa bei 70 Dezibel, bei 1.000 Metern nur noch bei 60 Dezibel. Eine Wahrnehmung ist so gut wie ausgeschlossen. Dennoch beharrt die Volksinitiative:

Hans-Joachim Mengel, Volksinitiative gegen Windkraftausbau
„Und dann gibt es Untersuchungen, ich habe von der Charité hier eins vorliegen, dass der Infraschall schädliche Auswirkungen hat." „Welche?" „Ich bin natürlich kein Experte, aber in dem Gutachten steht, dass es zu psychischen Störungen und Belastungen kommen kann. Und, ich denke, ehe man so etwas planerisch für immer festlegt, müssen da weitere Untersuchungen gemacht werden."

An anderer Stelle heißt es sogar, Infraschall könne lebensgefährlich sein – vor allem für Kinder und Schwangere. Doch weder die Bundesärztekammer noch die Landesärztekammer Berlin hatten auf Nachfrage Kenntnis von diesen Gefahren.

Hartmut Ising, Akustik-Experte
„Wir haben drei Jahre intensiv untersucht und hatten die Hoffnung irgendwas Spektakuläres zu finden, nicht gleich Tote, da wussten wir, dass da ganz andere Amplituden notwendig sind. Aber wenigstens eine Erklärung dieser Symptome wie Seekrankheit oder Reisekrankheit. Aber all das haben wir nicht gefunden."

Die Volksinitiative klingt daher sehr nach Panikmache. Und die kommt an. Angeblich sind schon über 15.000 Unterschriften gesammelt. Insgesamt brauchen sie 20.000. Sollte es sogar zum Volksentscheid kommen, könnte der für das Land bindend sein.

Woraus dann aber nachhaltig klimafreundlicher Strom produziert werden soll, bleibt unklar. Was klar ist: die zukünftige Nutzung einer alternativen Energie wird nachhaltig beeinträchtigt.

Sollen und dürfen die Bürger auch über strategisch wichtige Entscheidungen wie die zukünftige Energieversorgung per Volksentscheid abstimmen? Für den Verfassungsrechtler Professor Christian Pestalozza ein Risiko:

Christian Pestalozza, Verfassungsrechtler
„Jede Art der Volksbeteiligung hat immer ein bisschen die Gefahr, dass das für demagogische Zwecke ausgenutzt wird von Kräften, die sich innerhalb des Parlaments nicht durchsetzen können, weil sie nicht die Mehrheit haben, oder weil sie nicht ernst genommen werden und dergleichen. Diese Gefahr, diese Sorge besteht eigentlich immer, aber das spricht nicht gegen die Einrichtung als solche, sondern da muss man Vorkehrungen treffen, dass durch Gegenaufklärung die Bevölkerung unterrichtet wird, wie es sich wirklich verhält.“

Doch das Land Brandenburg lässt Aufklärung in Sachen Infraschall vermissen. Kein Wunder, dass viele Bürger aus Angst gegen den Ausbau der Windenergie stimmen.

Ob das angesichts des Klimawandels aber sinnvoll ist, ist stark zu bezweifeln – jedenfalls solange es kaum gute Alternativen gibt.

Volksinitiativen, Bürgerbegehren oder Volksbegehren sind an sich eine gute Sache. Direkte Demokratie – jeder kann abstimmen, wie zuletzt in Berlin beim Volksbegehren um Tempelhof. Deshalb wäre es sehr schade, wenn diese Bürger-Mitbestimmung eingeschränkt wird – nur weil einige Leute dieses Instrument nutzen, um ihren ganz privaten Feldzug zu führen.

Beitrag von Iris Marx

 

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